TTIP und das Märchen vom »Freihandel«
Stefan Müller
Frank Schäffler (FDP) forderte kürzlich den Friedensnobelpreis für den Freihandel. Der Begriff suggeriert, zumindest auf den ersten Blick, etwas sehr Positives: freier Handel zum Wohle aller Menschen. Doch wenn man sich etwas genauer mit dem Thema Freihandel beschäftigt, könnte dieser durch und durch positive Begriff durchaus eine etwas andere Färbung bekommen.

So könnte man bei der Recherche z.B. auf den Opiumkrieg stoßen. In diesem Krieg (1839-1842) zwang Großbritannien China mit drastischer Gewalt dazu, seine Märkte zu öffnen. Dies geschah teilweise, um den florierenden Opiumhandel weiter zu forcieren. Andererseits konnte somit das riesige China mit maschinell erzeugten Billigprodukten aus Großbritannien geflutet werden.
Gedankenpause: Wenn im Namen des Freihandels Kriege geführt wurden und werden, wie kann man dann so etwas mit einem Friedensnobelpreis belohnen wollen?
Insgesamt macht die FDP aber auch ganz offiziell keinen Hehl aus ihrer Affinität für den Freihandel und zeigt auf Werbeplakaten »Flagge für TTIP«. TTIP ist ein Abkommen, das eine Freihandelszone zwischen Europa und den USA schaffen soll, selbstverständlich ebenfalls nur zum Besten aller Bürger. Aus diesem Grund finden auch alle relevanten Verhandlungen zu dieser Thematik hinter verschlossenen Türen in abgeschiedenen EU-Gremien statt.
Die Bürger zeigten derweil am 10.10.2015 ihr gesundes Misstrauen bei einer großen Demonstration in Berlin mit 150 000 bis 250 000 Teilnehmern. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass neben der NPD nur die Parteien des links-grünen Spektrums gegen das transatlantische Freihandelsabkommen sind. Gehässig könnte man sagen, dass auch ein blindes Huhn mal ein Korn findet.
Alle anderen Parteien sind durchaus für TTIP. Die AfD stimmte im EU-Parlament in einigen Verhandlungen sogar für das Freihandelsabkommen, obwohl die Partei laut Programm »gegen das Abkommen in der aktuellen Form« ist.
Eigentlich leben wir in einem Zeitalter, in dem die Ideologien ihren letzten Atemzug getan haben sollten. Hätte, wäre, wenn sind bekanntlich arme Brüder. So erfreut sich der Sozialismus in Deutschland seiner realpolitischen Hochkonjunktur und jeder interessierte Mensch könnte einmal darüber nachdenken, ob es sich bei dem Freihandel nicht sogar auch um eine Ideologie handelt. Wer mit einem glühenden Verfechter dieser Idee ins Gespräch kommt – genau das ist mir gestern widerfahren –, könnte nämlich zu genau diesem Schluss kommen.
Die Argumente und Thesen wirken wie auswendig gelernt, können jedoch mit der Wirklichkeit kaum in Einklang gebracht werden und gleichen damit der Rhetorik der allseits unbeliebten Gespräche
mit den Zeugen Jehovas. Ein Befürworter des Freihandels würde fragen: »Wann haben Sie das letzte Mal über Freihandel nachgedacht?« Gebetsmühlenartig wird die Mär von den positiven Effekten für den Menschen wiederholt: Arbeitsplatzsicherung, niedrige Preise und Friedenssicherung durch barrierefreie Handelsgeschäfte.

All diese Dinge sind lediglich kostenlose Nebenwirkungen, denn die Idee des Freihandels stammt aus einem größeren Gedankenkonstrukt: dem Neoliberalismus.
Diese Denkrichtung hat aber alles andere als das Wohlergehen aller Menschen zum Ziel. Anstelle dessen geht es lediglich um die Erschaffung einer Marktsituation, in der jeder Mensch am effektivsten ausgebeutet werden kann. Arbeitsplätze werden keinesfalls gesichert, sondern zielgerichtet vernichtet. Egal ob man sich die Situation der deutschen Textilarbeiterinnen oder der Arbeiter in der Motorcity Detroit anschaut: Es gibt sie nicht mehr, weil sie einfach zu teuer waren. Wenn ein Unternehmen woanders zu günstigeren Konditionen produzieren kann, tut es das.
Wo wird hier also das Wohl der Menschen gefördert, wenn sie in die Arbeitslosigkeit geschickt werden? Wo sind all die Arbeitsplätze für wenig bis nicht ausgebildete Arbeitskräfte in Deutschland? Durch die Verlagerung der Produktion ins Ausland entsteht neben der Arbeitslosigkeit aber noch ein weiteres Problem. Wenn in den 1970er-Jahren ein VW Golf noch größtenteils in Deutschland produziert wurde, dann wurden naturgemäß dafür auch deutsche Arbeiter entlohnt, die mit diesem Geld auch die Nachfrage in Deutschland stärkten.
Das bedeutet: Die Arbeitnehmer konnten sich vielleicht sogar selber deutsche Produkte leisten. Wer soll sich denn dann überhaupt noch deutsche Autos leisten können, wenn die Arbeitsplätze in Deutschland in immer größerem Umfang weiter ins Ausland ausgelagert werden, wie dies der
Freihandel fordert?

Die beschworenen »niedrigen« Preise durch den Freihandel gehören ebenfalls in das Reich der Mythen und Legenden, denn niedrige Preise liegen nicht im Sinne eines Unternehmens – zumindest, solange höhere Preise nicht dem Umsatz schaden. Ein Unternehmen will Profite machen und das kann es durch den Abbau von Handelsbarrieren noch viel besser, da es Zugang zu einem größeren Markt erhält. Durch die Verlagerung der Produktion ins Ausland werden nicht die Preise von Waren niedrig gehalten, sondern die Kosten für die Produktion gesenkt. Auf diese Weise erhöht sich lediglich die Gewinnspanne der verkauften Waren gegenüber heimisch produzierten Waren.
Das Argument der »Friedenssicherung« ist fast schon lächerlich pervers, wenn man sich überlegt, dass im Namen des Freihandels Kriege geführt werden. Weiter oben habe ich das Beispiel des Opiumkrieges erwähnt, aber die Liste der Kriege im Namen des Freihandels ist nahezu unendlich lang. Man nehme als Beispiel nur die vielen Kriege, die für das Öl geführt wurden. Eine Forderung nach dem Friedensnobelpreis für den Freihandel ist somit also sogar eine echt zynische Angelegenheit.
Zusätzlich wird gerne argumentiert, dass es ja heute fast kaum mehr ein Produkt gebe, das nicht durch internationale Zusammenarbeit entstanden sei. Dies ist eine unzulässige Argumentation, denn einerseits gibt es durchaus Produkte die zu 100 Prozent »Made in Germany« sind (Trigema,Liqui Moly u.a.), und außerdem bedeutet ein Ist-Zustand nicht gleichzeitig, dass etwas tatsächlich auch automatisch immer begrüßenswert ist.
Grundsätzlich nutzen die Befürworter des Freihandels den entfesselten Markt als Waffe. Stellen wir uns vor, wir wären die Besitzer einer Backstube und versorgten unsere kleine Stadt mit Brötchen. Eines Tages beschließt die Regierung unseres Landes den Beitritt zu einer Freihandelszone, in der

Die Verfechter des Freihandels feiern dies dann auch noch, da sich hier angeblich der »cleverere« Marktakteur durchgesetzt hat (Großbäckerei). Um das Ganze dann rund zu machen, beschäftigt die Großbäckerei dann auch einen Stab von Steueranwälten, die dafür sorgen, dass die Backshops auch erheblich weniger Steuern zahlen, als es eine einzelne Bäckerei getan hätte. Das nennt man dann Freihandel!
Der Freihandel schadet jedem Marktteilnehmer, der sich nicht frei auf dem Markt bewegen kann und somit dessen Dynamik ausgeliefert ist. Dies trifft sowohl auf Menschen als auch auf Organisationen wie Unternehmen zu. Eine direkte Folge können wir ganz aktuell in Deutschland beobachten. Täglich strömen Flüchtlinge durch die weit geöffneten Grenzen und laut Bundeskanzlerin Merkel müssen wir das hinnehmen. Warum aber sind die Grenzen offen? Selbstverständlich ist diese Tatsache auch zum Teil der Einführung der Freihandelszone namens »Europäische Union« geschuldet, deren Teil Deutschland ist. Grenzkontrollen stellen genau wie Nationalstaaten Handelsbarrieren dar und müssen beseitigt werden.
Was würden wohl die exportorientierten Unternehmen sagen, wenn plötzlich wieder »Handelsbarrieren« wie effektive Grenzkontrollen eingeführt würden, um den unkontrollierten Zustrom zu vermeiden? Eine solche Maßnahme würde schlicht und einfach gegen die Ideologie des Freihandels verstoßen und ist auch deshalb tabu. Weiterhin ist der unlimitierte Zustrom von
Flüchtlingen aus der Sicht des Freihandels ein Geschenk Gottes, denn auf diese Weise vergrößert sich doch die Zahl der Konsumenten in der Europäischen Union!

Der Freihandel ist ein Instrument der Internationalisierung und Ausbeutung des Einzelnen. In diesem Licht betrachtet ist es fast schon amüsant, dass Jürgen Hardt imTagesspiegel vom 10.10.2015 (also am Tag des großen Protests gegen TTIP) schrieb:»Rational ist der Protest nicht zu erklären.«Natürlich muss ein Marktradikaler die Sorgen und Ängste der Bürger als irrational abtun, denn für Emotionen gibt es keine ökonomischen Bezugsgrößen. Wie aber würde »rationales« Verhalten der Bürger aussehen? Vielleicht würde dieses Verhalten so aussehen, dass sich Bürger mit den gleichen Interessen zu einem Unternehmen zusammenschließen, um ihre dadurch entstehende Macht einzusetzen und den Markt in ihrem Sinne zu formen...
Das klingt fantastisch, entspricht aber genau der Blaupause, nach der die Elite die Welt transformieren konnte. Diese Menschen haben sich ihre Macht niemals abnehmen lassen, sondern haben sich selbst, im Gegenteil, sogar noch zusätzlich ermächtigt. Sollten Sie sich mit dieser Thematik etwas eingehender beschäftigen wollen, dann kann ich auf mein Buch Gefährlich!aufmerksam machen, in dem ich kritisch hinterfrage, wieso wir das alles mit uns machen lassen. Oder wollen wir anstelle dessen weiterhin rein passiver Marktakteur bleiben und uns wie Leibeigene herumschubsen lassen? Es ist UNSERE Wahl!
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