Dienstag, 20. Oktober 2015

Megafusionen: Karussell des Wahnsinns hebelt Konsumenten vollends aus

Megafusionen: Karussell des Wahnsinns hebelt Konsumenten vollends aus

Markus Gärtner

Billiges Geld und Größenwahn treiben rund um die Erdkugel eine Fusionswelle an, wie wir sie noch nie gesehen haben: Bier, Wohnraum, Medikamente, Energie und Nahrung – alles, was wir täglich brauchen wird derzeit einem Fusionsprozess unterworfen, bei dem neue, alles beherrschende Giganten geformt werden. Es entstehen Branchen-Gorillas, die Preise in die Höhe treiben, Verbraucher aushebeln und die Regulierungsbehörden zu lächerlichen, machtlosen Zuschauern degradieren.

Wenn das Tempo der Fusionen und Übernahmen bis zum Ende des Jahres anhält, wird 2015 der alte Rekord, der 2007 vor der Finanzkrise mit einem Deal-Volumen von 4,61 Billionen Dollar aufgestellt wurde, in den Schatten gestellt. Firmen und Firmenteile im Gegenwert der Wirtschaftsleistung Japans werden dann herumgereicht worden sein.

In der Bierbranche greift der weltgrößte Brauerei-Konzern Anheuser-Busch InBev nach der Nummer zwei im globalen Gewerbe, SABMiller. Es wird ein Bier-Dinosaurier entstehen, der einen Marktwert von 270 Milliarden Dollar aufweist (BIP von Finnland) und jedes dritte Bier auf der Welt verkauft. In der hiesigen Wohnungswirtschaft will jetzt Vonovia, der größte Vermieter im Land, für rund 14 Milliarden Euro (Schulden eingerechnet) die Deutsche Wohnen schlucken, die Nummer zwei am Markt.

In der IT-Welt will sich der PC-Riese Dell für 67 Milliarden Dollar den Datenspezialisten EMCgreifen, um auf Augenhöhe mit den Branchenriesen IBM und Hewlett-Packard zu konkurrieren. Im Mittelpunkt der Übernahme steht die »Wolke«, das billionenschwere künftige Geschäft mit Nutzerdaten und extern gespeicherten Informationen.

Die Liste der beratenden und finanzierenden Banken liest sich wie das Who is Who des Geldgewerbes, von JP Morgan über Goldman Sachs bis hin zur Deutschen Bank. Die Banken verdienen Milliarden.

Die fusionierten Firmen bleiben auf milliardenschweren Krediten sitzen, die bei diversen Sparungen den Zulieferern abgeknapst oder den Kunden über höhere Preise aufgehalst werden. In der nächsten Finanzkrise werden die nicht mehr eintreibbaren Verbindlichkeiten dann über neue Banken-Bailouts den Steuerzahlern aufgebrummt.

Auch in der Pharmaindustrie dominiert der Größenwahn. Der weltgrößte Generika-Anbieter Tevaschnappt sich für mehr als 40 Milliarden Dollar die Nachahmer-Produkte des US-Botox-Produzenten Allergan.

Deals mit jeweils mehr als zehn Milliarden Dollar Volumen werden seit Monaten eingetütet, wie wenn Kinder im Park Kastanien sammeln. Doch im Unterschied dazu geht es bei der Firmenjagd um Dominanz, höhere Preise, niedrigere Kosten, mehr Einfluss auf die Politik und mehr Macht über die Verbraucher.

Gemessen daran wird 2015 als ein furchtbares Kalenderjahr in die Annalen des Verbraucherschutzes eingehen. Während alle Welt auf die Flüchtlinge schaut und immer mehr Menschen gegen TTIP demonstrieren, organisiert sich im Wirtschafts-Universum eine Firmenmacht, die wir alle noch bereuen werden und gegen die Behörden und Regierungen immer machtloser sind. Das sehen wir schon seit Jahren, weil ein strikter internationaler Steuercode, der die bestehenden Schlupflöcher weitgehend schließt, einfach nicht zustande kommt. Er ist nicht gewollt.

Auch in der Energiewirtschaft wird mit dem hyper-billigen Geld, mit dem die Notenbanken bereits unsere Ersparnisse pulverisieren und unsere Lebensversicherungen bedrohen, das ganz große Rad gedreht.

Der Ölmulti Shell kauft in der größten Übernahme seit zehn Jahren die britische Gasfirma BG für 70 Milliarden Dollar. Der Hintergrund sind kollabierende Ölpreise. Sie zwingen Energiekonzerne, auf die Kostenbremse zu treten. Doch was auf den ersten Blick wie logische Firmenpolitik aussieht – und von den Mainstream-Medien als angeblicher Beweis einer gesunden Wirtschaft gefeiert wird – dient in Wahrheit nur einem Ziel: Noch größere Firmen zu schaffen, die die Preise der Zulieferer drücken, Parlamente und Marktaufseher in der Hand haben und Konsumenten höhere Preise aufzwingen können.

So kann man auch den anderen Mega-Deal sehen, der im März bekannt wurde und weltweit für Schlagzeilen sorgte. Der Ketchup-Produzent Heinz und Kraft Foods verbünden sich zumfünftgrößten Nahrungshersteller weltweit. Das fusionierte Unternehmen wird jährlich 28 Milliarden Dollar Verkaufserlöse erzielen und mindestens acht Marken in den Regalen der Supermärkte platzieren, die jeweils mehr als eine Milliarde Dollar im Jahr einspielen.

Auch bei dieser Fusion werden die Zeitungsleser von den Medien auf eine falsche Spur gesetzt. Nur vordergründig geht es bei der Kraft-Heinz-Firmenehe darum, jedes Jahr mindestens 1,5 Milliarden Dollar Kosten einzusparen und in den großen Schwellenländern zu expandieren. Schließlich ist der zweite treibende Investor hinter diesem Mega-Deal neben Warren Buffett der brasilianische Milliardär Jorge Paulo Lemann.

Und der weiß, wie man die Konkurrenz mit wohl platzierten Attacken ausspielt. Lemann hat für die Schweiz und für Brasilien Tennis im Davis-Cup gespielt. Jetzt schlägt er seine Asse auf dem Börsenparkett und im Firmenhandel.

Lemann hat mit Anheuser-Busch InBev das größte Bier-Imperium auf diesem Planeten geschmiedet. Zu dem Bier-Konzern gehören in Deutschland Marken wie Löwenbräu, Gilde oderBeck´s. Lemann weiß genau, dass er auch mit dieser Fusion Marktanteile und Preise treiben kann.

Für den flüchtigen Verbraucher, der sich mit dem wirtschaftlichen Hintergrund seiner Supermarkt-Einkäufe nicht intensiv beschäftigt, bleibt vordergründig alles beim Alten ‒ bis er sich wundert,warum die Rechnung im Supermarkt immer größer wird.

In Wirklichkeit beschleunigt sich hier eine verheerende Spirale, die unsere Wahlmöglichkeiten beim Einkaufen einschränkt und auf Dauer die Preise treibt, ohne dass wir etwas dagegen machen können. Denn von der Schokolade über Seifen und Waschmittel bis hin zu Mineralwasser, Kosmetik und Jeans bestimmen weniger als ein Dutzend große Konzerne, was in unserem Einkaufswagen landet.

Darunter sind Firmen wie Procter & Gamble, Unilever, Nestlé, Coca-Cola und Mars. Vier dieser Machthaber über unsere Einkaufskörbe – Kraft, Pepsico, Unilever und Nestlé– machen im Jahr einen addierten Umsatz von mehr als 250 Milliarden Dollar. Egal, wie viele Produkte wir beim nächsten Einkauf in unseren Wagen legen, von diesen Firmen ist immer etwas dabei.

Diese enorme Konzentration von Marktmacht geht zu Lasten aller Verbraucher. Sie hilft lediglich den Konzernen selbst, die eifrig an der Preisschraube drehen und Marktaufseher mit leichter Hand beeinflussen können, damit diese wegsehen, wenn Abkürzungen genommen, gegen Regeln verstoßen und verbotene Preisabsprachen getroffen werden.

Auch die Firmen in der Lieferkette können nach Belieben von den marktbeherrschenden Herstellern herumgeschubst werden: Vom Bauernhof über das Schlachthaus bis hin zur Präsentation im Regal des Einzelhändlers, alles ist ein abgekartetes Spiel, das nur einem Zweck dient: Den Wettbewerb weitgehend zu eliminieren und die Konsumenten in dem Glauben zu wiegen, sie hätten eine riesige Auswahl.

Für den typischen Konsumenten ist die feine Verästelung der Produktzugehörigkeiten nicht nachvollziehbar. Wer weiß schon, dass das Katzenfutter Whiskas, die Naschriegel Twix, der Reis von Uncle Bens und das Hundefutter von Pedigree allesamt von Mars stammen. Oder, dass dieRitz-Cracker, die Cadbury-Schokolade undToblerone von Kraft kontrolliert werden?

Massive Konzentration beobachten wir nicht nur im Nahrungsmittelsektor. Sie kennzeichnet viele Industrien. Die gesamte Agrarwirtschaft wird von einer Handvoll Konzerne dominiert.

In einem Bericht der Nahrungs- und Landwirtschafts-Organisation (FAO) der Vereinten Nationen über die »Rolle transnationaler Firmen« wird beklagt, dass »eine kleine Zahl von Unternehmen jetzt jeden Teil der Nahrungskette in den Ländern der OECD beherrscht«. Demnach kontrollieren lediglich vier Firmen – Cargill, Cenex Harvest States, ADM und General Mills – 60 Prozent des Weizenhandels.

Über 82 Prozent der internationalen Maislieferungen sind in der Hand der Firmen Cargill, ADM undZen Noh, ein großer Verbund landwirtschaftlicher Kooperativen in Japan. In der Hühner-Industrie werden sämtliche Stufen der Wertschöpfungskette streng kontrolliert. »In dieser vertikal integrierten Industrie gibt es keine Stufe mehr, in der Preise frei gebildet werden, Manager, statt freie Kräfte des Marktes, legen die Preise fest,« kritisiert das FAO-Papier.




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