Freitag, 23. Oktober 2015

Putins nächster Schachzug

Putins nächster Schachzug

Peter Orzechowski

Jeden Tag wird klarer, dass sich Moskau nicht mehr von Washington vorführen lässt. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass sich Putin nach dem Putsch auf dem Kiewer Maidan entschlossen hat, nicht mehr nur auf Obamas Provokationen zu reagieren, sondern selbst die Initiative zu ergreifen: Erst sichert er die Krim für Russland, dann setzt er sich in Syrien fest – jetzt befestigt er die Südgrenze am Kaukasus, indem er einen Brückenkopf im Land des heftig von den USA umworbenen Georgien errichtet.

Südossetien heißt der Brückenkopf im Kaukasus – jener strategisch wichtigen Verbindung zwischen dem Öl-Dorado des Kaspischen Meeres und dem Schwarzen Meer. Durch diese Region verlaufen lebenswichtige Pipelines. Südossetien ist etwas größer als das Saarland und hat nur 50 000 Einwohner. Das gebirgige Land liegt südlich des Kaukasus-Hauptkamms – auf einer Höhe von 1000 bis 4000 Metern über dem Meeresspiegel – und ragt in das georgische Staatsgebiet hinein. Entscheidend ist: Der Brückenkopf ist über einen Tunnel durch den Kaukasus hindurch direkt an Russland angeschlossen.

Jetzt will dieses Südossetien eine Wiedervereinigung mit Russland anstreben, meldeten dieDeutschen Wirtschafts Nachrichten gestern. Die geplante Volksabstimmung über den Beitritt zu Russland könne die Sicherheit der Republik angesichts der gegenwärtigen politischen Realitäten für Jahrzehnte gewährleisten, hieß es in einer Erklärung des Präsidenten der selbsternannten Republik, Leonid Tibilow.

Den NATO-Vormarsch stoppen

Um zu verstehen, warum dieser Schritt bedeutsam ist, müssen wir kurz zurückblicken: Den von Georgien 2008 mit dem Einmarsch in Südossetien vom Zaun gebrochenen Krieg – die»Unabhängige Untersuchungskommission zum Konflikt in Georgien« der EU bestätigte diese Sicht – nahm die NATO zum Anlass, Russland auszugrenzen und die Arbeit des NATO-Russland-Rates bis auf Weiteres auszusetzen.

Dabei war der Bericht der Kommission unter Vorsitz »der im Kaukasus und Russland sehr erfahrenen Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini« zu dem Ergebnis gekommen, »dass der Krieg in der Nacht vom 7. auf den 8. August von Georgien begonnen wurde«, so die FAZ am 30.9.2009. DerBericht der EU-Kommission überführte den damaligen georgischen Präsidenten Saakaschwili überdies der Lüge:
»Einen zentralen Punkt in der georgischen Darstellung des Kriegsbeginns sieht die Untersuchungskommission demnach als widerlegt an: Der georgische Präsident Michail Saakaschwili hatte behauptet, der Beschuss der südossetischen Hauptstadt Zchinwali und der folgende Vormarsch der georgischen Truppen in das Gebiet der von Georgien abtrünnigen Provinz in jener Nacht seien Notwehr gewesen. Er, Saakaschwili, habe mit dem Befehl dazu auf den Einmarsch russischer Truppen durch den Roki-Tunnel reagiert, der Südossetien durch den Kaukasuskamm hindurch mit Russland verbindet. Hinweise für eine russische Invasion konnte die Kommission aber nicht finden. Sie kommt daher zu dem Schluss, die erste Reaktion der russischen Streitkräfte zur Verteidigung ihrer in Südossetien aufgrund eines gültigen internationalen Mandats stationierten ›Friedenstruppen‹ sei daher gerechtfertigt gewesen.«
Der eigentliche Initiator hinter dem russisch-georgischen Krieg waren jedoch die USA. George Friedman von Stratfor Global Intelligence sah keinen Anlass, die eigentlichen Player im Hintergrund nicht offen zu benennen. In einer Analyse vom 8.9.2008 (»Israeli Strategy After the Russo-Georgian War«) schreibt er:
»Der russisch-georgische Krieg hallt noch nach, und es ist an der Zeit, unsere Sicht darauf zu erweitern. Hauptakteure in Georgien, abgesehen von den Georgiern selbst, waren Russen und Amerikaner, am Rande befanden sich die Europäer mit Ratschlägen und Ermahnungen, die aber wenig Gewicht hatten. Ein weiterer Player mit einer undurchsichtigeren Rolle war Israel. Israelische Berater waren an der Seite von amerikanischen Beratern in Georgien präsent und israelische Geschäftsleute machten dort Geschäfte.«
Nach Friedmans Erkenntnis beteiligten sich die USA 2008 an der Aufrüstung und Ausrichtung der ehemaligen Sowjetrepublik (traditionell in der russischen Einflusszone) gegen die RussischeFöderation. Die vorhersehbare Reaktion nahm die NATO wiederum zum Anlass, Russland über den NATO-Russland-Rat zu bestrafen, ein Muster, das sich in der amerikanischen Ukraine-Politik wiederholen sollte.

Inzwischen hat Georgien ein Freihandels- und Assoziationsabkommen mit der EU unterzeichnet, das freilich die Abhängigkeit von russischen Energieimporten sowie die Dominanz russischen Kapitals in einigen Schlüsselsektoren (Energie, Banken, Bergbau) nicht verändert. Unmittelbar nach der Unterzeichnung des EU-Vertrags erfolgte die »symmetrische« Antwort Russlands: ein Assoziationsabkommen mit Abchasien, der zweiten abtrünnigen, ehemaligen georgischen Republik.

Abchasien, das Ferienparadies an der Schwarzmeerküste – halb so groß wie Thüringen –, das sich nach dem Krieg 2008 für unabhängig erklärt hat, hat für Russland große strategische Bedeutung: Mit der Basis in Gudauta, dem Flugfeld in Bombora und dem Hafen von Otschamtschire sowie mehreren Radarstationen, kann Russland faktisch den gesamten Südkaukasus und vor allem Georgien militärisch kontrollieren.

Und jetzt folgt also die mögliche Eingliederung Südossetiens

Brisant ist dabei auch der Zeitpunkt. Ende August hatte Georgiens Präsident Georgi Margwelaschwili bei einem Treffen mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Tiflis die Integration des Landes in die Allianz, Fragen der regionalen Sicherheit und die Teilnahme georgischer Soldaten an der NATO-Mission in Afghanistan diskutiert, wie die georgische Präsidialverwaltung mitteilte. Danach eröffnete Stoltenberg ein gemeinsames Ausbildungszentrum. Dort sollen Militärangehörige sowohl der Allianz als auch der NATO-Partnerländer ausgebildet werden.

»Auf der Basis dieses Zentrums plant man die Durchführung von Übungen und Trainings zur Steigerung der Operationseffizienz, Kompatibilität und gegenseitigen Abstimmung der Einheiten der NATO-Länder mit den georgischen Streitkräften und den NATO-Partnerländern«, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums bei einem Briefing am 27. August 2015 in Moskau. »Wir betrachten diesen Schritt als Fortsetzung der provokativen Politik der Allianz, die auf die Erweiterung ihres geopolitischen Einflusses abzielt, wobei des Öfteren die Ressourcen der NATO-Partner ausgenutzt werden«, fügte sie hinzu.

Laut Sacharowa »wird die Stationierung eines derartigen Militärobjektes der Nordatlantik-Allianz in Georgien ein schwerwiegender Destabilisierungsfaktor für die Sicherheit in der Region sein«. Die institutionelle Kooperation zwischen Georgien und der NATO hatte 1994 begonnen, als Georgien dem Programm »Partnerschaft für den Frieden« (PfP, Partnership for Peace) beigetreten war.

Im Jahr 2004, nach der »Rosenrevolution« in Georgien, hatten Tiflis und die NATO ihre Zusammenarbeit ausgebaut.

Beim NATO-Gipfel im April 2008 in Bukarest wurden Georgien und der Ukraine eine NATO-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt – vorausgesetzt, dass sich diese Staaten den Standards der Allianz anpassen.

Jetzt hat Putin gezeigt, dass er einer weiteren Osterweiterung der NATO nach Georgien und vielleicht darüber hinaus nicht tatenlos zusehen wird.





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