Kommt die globale finanzielle Kernschmelze?
Michael Snyder
Derivate seien »finanzielle Massenvernichtungswaffen«, erklärte Warren Buffett einst. Es sei unvermeidbar, dass sie früher oder später anfangen würden, unser Finanzsystem zu verwüsten. Momentan mag es so aussehen, als herrsche an der Wall Street halbwegs Ruhe. Aber in Wahrheit brodelt es ganz kräftig unter der Oberfläche. Da kocht gewaltiger Ärger hoch.

Wie ich Ihnen zeigen werde, ist Mitte September etwas geschehen – dieses etwas machte es nötig, dass das amerikanische Finanzministerium in einer beispiellosen Aktion 405 Mrd. Dollar in den Repo-Markt pumpen musste.
Ich weiß, das klingt ziemlich kompliziert, deshalb will ich versuchen, es möglichst einfach zu erklären. Offenbar sind einige sehr große Finanzhäuser in ziemliche Schwierigkeiten geraten, weil sie sich mit all ihren unbesonnenen Wetten verhoben haben. Wieder und wieder habe ich gewarnt, dass so etwas passieren könnte.
So oft habe ich darüber geschrieben, dass meine regelmäßigen Leser es vermutlich nicht mehr hören können. Aber es ändert nichts daran, dass es Derivate sein werden, die unser Finanzsystem auf die Knie zwingen.
Viele regen sich immer auf, wenn ich den Derivatehandel mit Glücksspiel gleichsetze. Vielleicht wäre es zutreffender, die meisten Derivate als eine Form von Versicherung zu beschreiben.
Die großen Finanzinstitute beteuern, den Großteil der Risiken, die diese Kontrakte mit sich bringen, an Dritte weitergereicht zu haben. Es bestehe überhaupt kein Grund, sich Sorgen zu machen, beteuern sie.
Also ich für meinen Teil glaube kein Wort davon und ich weiß, dass es vielen anderen ähnlich geht. Auf einer sehr allgemeinen, simplen Ebene ist der Derivatehandel durchaus ein Glücksspiel. Jeff Nielson hat das sehr schön verdeutlicht in einem kürzlich veröffentlichten Artikel:
»Niemand ›begreift‹ Derivate. Wie oft haben die Leser diesen Satz schon gehört (bitte runden Sie auf den nächsten Tausender auf/ab)? Aber warum versteht sie niemand? Bei vielen lautet die Antwort: Weil sie viel zu angestrengt darüber nachgedacht haben. Bei anderen lautet die Antwort, dass sie überhaupt nicht›denken‹.Derivate sind Wetten. Das ist keine Metapher, keine Analogie, keine Verallgemeinerung. Derivate sind Wetten, Punkt, aus. Das waren sie immer und nichts anderes werden sie je sein können.«
Zu den sehr großen Finanzhäusern, die durch diese finanziellen Massenvernichtungswaffen in große Not geraten sind, zählt offenbar Glencore. In seiner Glanzzeit galt Glencore als zehntgrößtes
Unternehmen weltweit, aber inzwischen scheint der Konzern auseinanderzubrechen, was wiederum wohl sehr viel mit Derivaten zu tun hat. Das hier hat Zero Hedge dazu zu sagen:

»Als besonders beunruhigend bezeichneten sie, dassGlencore Finanzinstrumente wie Derivate dazu nutzte, um seinen Handel mit physischen Waren gegen Preisschwankungen abzusichern. Stand Juni 2015 hatte das Unternehmen 9,8 Mrd. Dollar an Brutto-Derivaten, nachdem es Ende 2014 noch 19 Mrd. Dollar gewesen waren. Investoren befragten das Unternehmen daraufhin nach dem Wandel.Dass dieser Wert so drastisch zurückgegangen sei, habe mit einer in diesem Jahr veränderten Marktvolatilität zu tun, sagte Glencore den Investoren, wie einige Personen angaben, mit denen Glencoregesprochen hatte. Wenn Preise stark schwanken, kann das den Wert von Hedging-Positionen erhöhen.Vergangenes Jahr hatte es, vor allem auf dem Rohölmarkt, extreme Preisschwankungen gegeben. Hatte ein Barrel Rohöl im Juni noch etwa 114 Dollar gekostet, war der Preis bis Ende Dezember auf unter 60 Dollar gesackt.Die Antwort sei nicht zufriedenstellend gewesen, erklärte Michael Leithead, beiEFG Asset Management als Portfoliomanager für Anleihefonds tätig. Das Unternehmen verwaltet ein Vermögen von zwölf Mrd. Dollar (Stand: Ende März) und hat in Schulden von Glencore investiert.
Wie die Bank of America angibt, haben Finanzinstitute aus aller Welt mit ungefähr 100 Mrd. Dollar bei Glencore investiert. Sollte Glencore pleitegehen, würde das entsprechend große Wellen schlagen. Aktuell ist Glencore der wahrscheinlich aussichtsreichste Kandidat, zum nächstenLehman Brothers zu werden.
Und es ist ja nicht so, als ob nur Glencore Schlagseite hätte. Auch andere Finanzriesen wieTrafigura stecken bis zum Hals in Problemen. Alles zusammengerechnet haben die globalen
Finanzunternehmen mit fast 500 Mrd. Dollarin diese Firmen investiert:

»Möglicherweise sieht es in Wahrheit sogar noch schlimmer aus, denn die Banken haben nicht nurGlencore Geld geliehen, sondern wahrscheinlich auch allen anderen Rohstoffhändlern. Wenn man das zusammenrechnet, kommen da atemberaubende Zahlen zusammen.Glencore dürfte für die Banken nicht der einzige Außenstand sein, den sie in der Branche der Rohstoffhändler haben. Wir gehen davon aus, dass andere Einheiten wie Trafigura, Vitol und Gunvor ebenfalls bei den Banken in der Kreide stehen. 100 Mrd. Dollar mal vier?Gehen wir großzügig von 500 Mrd. Dollar aus, die allein im hoch verschuldeten Rohstoffmarkt zusammenkommen – einer Vermögensklasse, die im vergangenen Jahr massiv Prügel bezogen hat.«
Noch ist in den Mainstreammedien nicht viel zu diesem Thema zu finden, was vielleicht auch ganz gut so ist. Aber hinter den Kulissen sind bereits beispiellose Veränderungen im Gange.
Die nachfolgende Information hat mich glatt umgehauen. Sie stammt von Investment Research Dynamics und zeigt ganz klar, dass keineswegs »alles dufte« ist in der Finanzwelt:
»Im Bankensystem hat sich im September etwas ereignet, das eine massive Reverse-Repo-Operation erfordert. Das (amerikanische) Finanzministerium musste in noch nie da gewesener Höhe Kapital in den Repo-Markt einschießen. Normalerweise greift die Fed zu Reverse-Repos, um die Fed Rate zu managen. Wie man an der folgenden Grafik ablesen kann, kam es bei der Höhe der Reverse Repos immer wieder mal zu starken Ausschlägen und meist hängen sie mit einer Krise zusammen. Das offensichtlichste Beispiel ist natürlich der De-facto-Kollaps des Finanzsystems im Jahr 2008.«

Was in aller Welt könnte einen Ausschlag in dieser Größenordnung auslösen? In dem Artikel, aus dem ich gerade zitiert habe, wird eine Verbindung hergestellt zwischen den Problemen bei Glencoreund dieser einzigartigen Intervention:
»Sogar noch interessanter ist der Umstand, dass der Ausschlag bei den Reverse Repos zum selben Zeitpunkt stattfand, nämlich am 16. September, an dem der Aktienmarkt zu einem achttägigen Sturzflug ansetzte. Während dieser Zeit verlor der S&P 500 sechs Prozent an Wert. Und wie man sieht, ist es in etwa auch der Zeitpunkt, an dem die Glencore-Aktien und -Anleihen abstürzten. Analysten haben spekuliert, dass es gleichbedeutend mit dem »Lehman-Moment« wäre, der 2008 den Zusammenbruch der Märkte auslöste, wenn Glencores Kreditderivate den Schuldendienst einstellten oder Kreditinstitute, die gegen einen Zahlungsausfall vonGlencore gewettet haben, pleitegingen.Dass der Aktienmarkt insgesamt abgestürzt ist, wird der Unfähigkeit der Fedzugerechnet, die Zinsen zu erhöhen. Aber das scheint nur eine clevere Ablenkung für etwas viel, viel Verheerenderes zu sein, das sich fernab der Öffentlichkeit in den Liquiditätsfunktionen des globalen Bankenwesens zutrug.
Auch 2008 war es nicht so, dass Lehman Brothers den einen Tag noch »alles tipptopp« meldete und am nächsten Tag schlagartig tot umfiel. Auch damals köchelten unterhalb der Oberfläche die
Probleme vor sich hin.

Tja, genau dasselbe geschieht gerade bei Bankenriesen wie der Deutschen Bank und Rohstoffhändlern wie Glencore, Trafigura und der Noble Group. Und natürlich fangen auch viele deutlich kleinere Fische an, kieloben zu treiben. Diese Geschichte habe ich gerade auf Business Insider gefunden:
»Am 11. September verschickte der kleine Hedgefonds Spruce Alpha, Teil einer größeren Investmentgruppe, einen kurzen Bericht an seine Anleger.Der 80 Mio. Dollar schwere Fonds habe innerhalb eines Monats 48 Prozent an Wert verloren, heißt es in dem Leistungsbericht, den Business Insider einsehen konnte.In dem Schreiben wurde keine Erklärung genannt, kein Kommentar abgegeben. Nur die nackten, kalten Zahlen.«
Wow! Wie schafft man das, binnen einen Monats 48 Prozent an Wert zu verlieren? Das wäre ja schon schwer, wenn man es absichtlich darauf anlegen würde. Leider wird das kein Einzelfall bleiben, während wir immer tiefer und tiefer in die Krise rutschen.
Unterdessen machen uns unsere »Anführer« weis, dass es keinerlei Anlass zur Beunruhigung gibt. Man sehe sich nur an, was der ehemalige Fed-Chef Ben Bernanke sagt:
»Der ehemalige Federal-Reserve-Vorsitzende Ben Bernanke kann auf den globalen Märkten nicht erkennen, dass sich derzeit irgendwo Blasen bilden.Aber er sagt, man solle nicht blind seiner Einschätzung vertrauen.Und selbst wenn man das doch tut, sei das ohnehin die falsche Frage.Bei einer Veranstaltung des Wall Street Journal erklärte Bernanke am Mittwochmorgen: ›Ich kann keine offensichtlichen Fehlbewertungen erkennen. Nicht, was beispielsweise wie die Immobilienblase vor der Krise aussieht. Aber mir sollten Sie nicht vertrauen.‹«
Diesen letzten Satz kann ich guten Gewissens unterschreiben. Es war Bernanke, der uns 2008 erklärte, dass es keine Rezession geben werde – obwohl sie bereits in vollem Gange war. Er hatte
damals keine Ahnung und hat auch heute keine Ahnung.

Die meisten unserer sogenannten »Anführer« kapieren nicht, was gerade geschieht, oder sie sind nicht bereit, es uns zu erklären. Das bedeutet, dass wir selbst versuchen müssen, uns so gut wie möglich schlau zu machen. Und das sieht so aus, dass es um uns herum haufenweise Indizien dafür gibt, dass eine weitere Krise wie die von 2008 begonnen hat.
Ich für meinen Teil kann nur hoffen, dass es noch deutlich mehr Tage wie die letzten geben wird, Tage, an denen die Märkte vergleichsweise ruhig waren und es nicht allzu viele bahnbrechende Entwicklungen auf globaler Ebene gab. Leider werden diese vergleichsweise friedlichen und ruhigen Tage jedoch ein abruptes Ende finden. Schon bald.
.
Copyright © 2015 by TheEconomicCollapseBlog
Bildnachweis: Milagli / Shutterstock
Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Meinung des Verlags oder die Meinung anderer Autoren dieser Seiten wiedergeben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen