Montag, 23. November 2015

Putins Ängste – Putins Entscheidungen

Putins Ängste – Putins Entscheidungen

Peter Orzechowski

Was will Putin eigentlich in Syrien? Westliche Analysten haben meist die Antwort schnell parat: Der Kreml unterstreiche mit der Militäraktion seine geopolitischen Ambitionen. Er wolle wieder auf Augenhöhe mit den USA agieren. Darüber hinaus wolle Moskau seine neueste Rüstungstechnik aus russischer Produktion präsentieren, die neben Rohstoffen und Atomkraftwerken als Hauptexportgüter dringend benötigte Devisen ins Land schafft.

Wenn wir aber einmal diese Propaganda beiseitelassen, dann schälen sich die eigentlichen Gründe für Putins Militäreinsatz in Syrien heraus:
1. Moskau will Syrien stabilisieren. Russische Regierungsvertreter betonten in der letzten Zeit mehrmals, dass es dem Kreml nicht um die Person Assads gehe, sondern um die Aufrechterhaltung Syriens als funktionierendem Staat, berichtet Wedomosti Online am 21. Oktober. In einem Interview, das am 12. Oktober veröffentlicht wurde, erklärte Putin, er möchte mit der russischen Militäraktion die legitime Regierung stabilisieren und die Voraussetzungen für einen politischen Kompromiss schaffen.

Außerdem sagte Premierminister Medwedew laut Interfax am 17. Oktober: »Wer in Syrien regiert, entscheidet das syrische Volk.« Ein Abschied Assads von der Macht kommt für Moskau anscheinend auf der Basis von Wahlen in Betracht. Bis zu diesem Zeitpunkt sieht der Kreml in ihm den legitimen Staatspräsidenten mit dem Auftrag, die Staatlichkeit zu garantieren.

2. Nur wenn Punkt 1 erfüllt ist, Syrien also wieder stabil wird, kann Putin sein eigentliches Ziel erreichen: Moskau will und muss sich vor dem IS schützen. Durch seine eindeutige Parteinahmezugunsten der schiitischen Koalition Assad-Iran-Irak-Hisbollah geht Wladimir Putin ein großes Risiko ein.

Er stellt Russland damit gegen die regionalen sunnitischen Führungsmächte wie die Türkei und Saudi-Arabien und setzt sich so der Gefahr aus, in einen religiösen Konflikt hineingezogen zu werden. Deshalb arbeitet die russische Diplomatie intensiv an den Beziehungen zu den sunnitischen Staaten.

Darin liegt auch die weit größere Gefahr, nämlich die 20 Millionen sunnitischen Muslime im eigenen Land gegen den Kreml aufzubringen und damit auch die schon jetzt bestehende Terrorgefahr noch weiter zu erhöhen.

Laut Wedomosti Online vom 21. Oktober rechnet Putin mit der Rückkehr von mindestens 4000 IS-Kämpfern aus Ländern der ehemaligen UdSSR in ihre Herkunftsstaaten. Außerdem spricht der Kremlchef von weiteren Expansionsplänen des Islamischen Staates.

In der Folge drohe die Destabilisierung ganzer Regionen – wie Kommersant Online am 20. Oktober meldet. Moskau müsse diese territoriale Ausweitung des IS unterbinden. Andere Ziele des Militäreinsatzes seien sekundär (RBC Daily Online vom 01.10.2015).

In diesem Kontext erkennt Putin eine Bedrohung Zentralasiens. Sowohl in den dortigen Ex-Sowjetrepubliken als auch in Afghanistan habe der IS bereits seinen Einfluss verstärkt, wie er auf dem Waldai-Forum sagte, das vom 19. bis 22.10.2015 in Sotschi stattfand.

Besonders intensiv beobachtet Moskau die Lage in drei zentralasiatischen Staaten: Mit Kasachstan und Kirgisistan besteht eine enge Verbindung über die Eurasische Wirtschaftsunion, und in Tadschikistan befindet sich ein russischer Militärstützpunkt. Putin bezeichnete die Grenze seines Landes zu Kasachstan als »absolut durchlässig« und »technisch schwer zu schützen«.

Außerdem hat der Kremlchef Bedenken, ob Kasachstan sich in einer größeren regionalen Krise selbst behaupten kann. Russland sieht sich von einem größeren Krieg gegen Islamisten inZentralasien bedroht, den es alleine oder mit Unterstützung von China führen müsste.

Moskau sieht nur zwei Optionen. Entweder man bekämpft den IS-Terrorismus heute im Nahen Osten oder zu einem späteren Zeitpunkt in Zentralasien und/oder im Kaukasus.

Genau dort, in der strategisch wichtigen Kaukasusregion, hat der IS kontinuierlich seine Präsenz und seine Aktivitäten verstärkt – sogar innerhalb des Territoriums Russlands. Am 23. Juni 2015 meldete der IS die Errichtung eines neuen Gouvernements mit Namen »Wilayat Qafqaz« im russischen Nordkaukasus, nachdem zuvor einige hochrangige Militante in der Region dem IS Treue geschworen hatten.

Nachdem zunächst am 21. Juni über den Kurznachrichtendienst Twitter eine Audio-Erklärung in russischer Sprache verbreitet worden war, in der IS-Unterstützer aus den Regionen Dagestan, Tschetschenien und Inguschetien dem IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen hatten, wurde das neue Gouvernement offiziell ausgerufen.

Putins erfolgreiche Luftschläge gegen den IS sind ein Versuch, den Terror und seine Drahtzieher vor Ort zu bekämpfen. Sie sind damit auch eine Maßnahme, das eigene Land langfristig vor dem Terror zu schützen.



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