Donnerstag, 19. November 2015

Paris »ist die Rache«: Stimmung in der islamischen Welt kippt gegen Europa

Paris »ist die Rache«: Stimmung in der islamischen Welt kippt gegen Europa

Markus Mähler

Nach den Attentaten von Paris zeigt sich, wie weit Europa und die muslimische Welt auseinanderdriften: Arabische Medien vermuten, dass Israel oder die USA dahinter stecken, klagen den Westen für seine Doppelmoral an oder rechnen die Opferzahlen im Nahen Osten gegen unser Leid auf. Die wahre Wut kocht aber in den Kommentarspalten arabischer Nachrichtenseiten und auf Facebook. Experten sagen: »Dort äußern sich mehr als 90 Prozent in irgend einer Weise antiwestlich.«

Die islamische Welt reagiert auf das Massaker von Paris – aber anders, als wir uns das vorgestellt haben. Mit Hass und Wut. Mitgefühl oder Bestürzung muss man dort selbst in den gelenkten arabischen Medien mit der Lupe suchen. Al Jazeera wird von Katar aus finanziert. Dort fertigt man den Terror, der uns mitten ins Herz traf, so lieblos und versteckt ab, Paris verschwindet dort schon unter dem öffentlichen Radar.
Was Al Jazeera dafür zum großen Thema aufbauscht: Jüdische Organisationen nutzen die Anschläge aus, um Muslime in Europa in Verruf zu bringen. Auf der gleichen Schiene fährt der Sender Al Arabija, hinter dem das saudi-arabische Königshaus steht. Dort macht man Stimmung gegen neue Sicherheitsgesetze, die Muslime in Europa angeblich zu Opfern machen: »Jetzt geraten die Moscheen in Frankreich in den Fokus.«

Die Wut kocht: »Wenn das die Normalität ist, soll sie zur Hölle fahren«

Was die Menschen im Halbmond zwischen Algier und Damaskus aber wirklich bewegt, dafür sind die sozialen Medien ein guter Temperaturfühler: Dort kocht die Wut auf den Westen. Paris wird zum Hassbild. Arabische Terroropfer bekommen nur Mitleid zweiter Klasse.

Der Blogeintrag eines libanesischen Arztes klagt die vermeintliche Doppelmoral des Westens an und löst damit eine heftige Debatte aus: Im Grunde haben wir es nicht besser verdient. Europa fühlt mit den Toten von Paris, aber die Opfer in den arabischen Ländern sind uns egal.

Dieser Beitrag vom 26-jährigen Elie Fares wurde 280 000 Mal auf Facebook geteilt und spiegelt die Verzweiflung einer ganzen Weltregion wider, die zu Selbstmitleid wird, und aus diesem Nährboden wächst der Hass. Fares glaubt, dass westliche Medien absichtlich über den Bombenanschlagschweigen, den der Islamische Staat letzten Donnerstag im Libanon verübt hat.

Einen Tag vor der verheerenden Terrorwelle in Paris starben in Beirut 43 Menschen, über 240 wurden verletzt. Und uns kümmert das nicht, behauptet Fares stellvertretend für die arabische Welt: »Wenn das die Normalität ist, soll sie zur Hölle fahren.«

Warum das Brandenburger Tor nicht im Halbmond leuchtet

Der Eiffelturm leuchtete blau-weiß-rot und wir tauchten aus Mitgefühl unser Brandenburger Tor auch in die Farben der Tricolore. So etwas macht die arabische Welt wütend, schreibt der Libanese: »Als meine Leute starben, hielt es kein Land für nötig, seine Sehenswürdigkeiten in den Farben seiner Flagge zu beleuchten.«

Was offenbar nicht nur der Libanese gerne übersehen will: Frankreich steht für die Aufklärung, für die europäischen Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Hier wurde unsere Art zu leben angegriffen.

Die Farben waren damit auch ein trotziges Zeichen gegen den islamistischen Terror. Es wäre ein verheerendes Signal, wenn Europa nach einem Anschlag des IS im Nahen Osten den Halbmond hisst. Weil dieser Kulturkreis – das muss man offen sagen – andere Werte in die Welt trägt. Unter anderem, indem Dschihadisten ein Blutbad nach dem anderen rund um den Erdball anrichten.

Im Abwärtsstrudel: Aus Verzweiflung wächst Hass

Die ersten Opfer sind die Araber selbst. Sie fühlen sich mehr und mehr selber in einem Abwärtsstrudel gefangen – und konnten sich nicht einmal durch die Revolutionen des Arabischen Frühlings daraus befreien. Sie stehen vor einem Scherbenhaufen – an einem Punkt, an dem manentweder flieht, aufgibt oder seine Ohnmacht in Hass kanalisiert.

Dieser Fatalismus infiziert einen ganzen Kulturraum. Das bringt sogar der Libanese Elie Fares ungewollt auf den Punkt: »Im vergangenen Jahr habe ich mich damit abgefunden, eines von den Leben zu führen, die egal sind. Ich habe gelernt, es zu akzeptieren und damit zu leben.« Wenn der Islam die Summe des Denkens seiner Anhänger ist, sollten uns solche Zeilen zu denken geben.

Dass den westlichen Medien arabische Leben in Beirut weniger »wert« sein sollen, ist auch wieder Fatalismus. Die Journalisten haben ihre Pflicht am 12. November getan und ganze 1286 Beiträge zu Beirut geschrieben. Sie erschienen vor den Anschlägen von Paris, hat der Blogger Martin Belam sogar nachgewiesen. Es wollte nur kaum einer lesen, weil der islamistische Terror eben ganz weit weg war – zumindest bis zum 13. November, bis er nach Paris kam.

Die Opfer von Paris und Beirut werden gegeneinander aufgewogen

Wenn die arabische Welt uns damit eine Doppelmoral unterstellt, kann man sich auch fragen: Wie abgestumpft ist die Moral dort eigentlich? Bis zu den Anschlägen von Paris hat das Blutbad von Beirut auch dort nicht mehr als ein resignierendes Schulterzucken verursacht. Der alltägliche Wahnsinn. Das, was die Welt vom Nahen Osten erwartet – und er offenbar auch von sich selbst. Erst als es daran ging, die Opfer von Beirut gegen die in Paris aufzuwiegen, wurde der vergessene Anschlag plötzlich wichtig.

So bitter es klingt: Das lässt sich noch verstehen. Immerhin stehen nicht nur die Muslime in Europa unter dem Druck, sich für diesen Wahnsinn zu rechtfertigen, der aus ihrer Mitte wächst. Was aber in den Kommentarspalten der großen arabischen Nachrichtenseiten oder auf Facebook auftaucht, ist nur noch mit blankem Hass erklärbar.

»Jetzt erntet der Westen, was er vor Jahren gesät hat«

Mit dem wird sogar Constantin Schreiber inzwischen beliefert. Der deutsche Journalist macht Fernsehen auf Arabisch für Flüchtlinge»Marhaba – Ankommen in Deutschland«. In seiner Sendung bei n-tv bekommt Schreiber einen ungefilterten Blick, was die Flüchtlinge bei uns nach dem Pariser Terror bewegt. Er nennt es offen eine Mischung aus »Entsetzen und Jubel«. Im Querschnitt der Zuschauerreaktionen tauchen auch solche Kommentare auf:

»Jetzt erntet der Westen, was er vor Jahren gesät hat.« »Ich weiß, dass Frankreich und der ganze Westen uns töten und zerstören wollen.« »Warum erscheint überall jetzt die französische Flagge? Sie haben keinen Gott!« »Ich werde nicht vergessen, was man in Syrien meinen Brüdern angetan hat. Ich werde für meine Rache leben, bis meine Seele meinen Körper verlassen hat.«

»Mehr als 90 Prozent in irgendeiner Weise antiwestlich«

Wohlgemerkt: Dieser Hass kommt von Flüchtlingen, die vor dem Terror nach Deutschland geflüchtet sind! Schreiber beobachtet aber auch eine »insgesamt kippende Stimmung« in den arabischen Medien: »Dort äußern sich mehr als 90 Prozent in irgendeiner Weise antiwestlich.«Oder die Kommentare »fallen gleich proislamistisch aus«:

»Sie bombardieren muslimische Länder, unsere Söhne, zeichnen die scheußlichsten Karikaturen des Propheten Mohammed und stellen sich nun als Opfer dar?« »Dies ist die Rache für das, was mit uns geschieht in Syrien, im Irak, gegen den Islam.« »Was jetzt in Frankreich passiert, hat nichts mit Religion zu tun, sondern ist ein zionistischer Plan zur Auslöschung der Muslime. Sie wollen uns nur eine Wahl lassen: unsere Religion abzulegen und dem Glaubensbekenntnis der Juden und Christen zu folgen. Aber Allah ist der beste Planer!«

Unsere Freiheit ist bedroht – und wir müssen sie opfern

Wenn das die Mehrheitsmeinung auch der Menschen widerspiegelt, die zu uns kommen, dann wird es ernst – und gibt den Stimmen Recht, die jetzt das Thema Terror mit der Flüchtlingskrise verbinden. Inzwischen muss sogar Vizekanzler Sigmar Gabriel vom Neustart und dem Ende einer»chaotischen Zuwanderung« sprechen.

Dazu hat der Brandbrief aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht ausgereicht: »Der Wegfall der Identitätsprüfung erleichtert zudem auch das Einsickern von Kämpfern der Terrormiliz IS nach Mitteleuropa.« Es änderte auch nichts, als bekannt wurde, dass Salafisten bei uns in überfüllten Aufnahmelagern rekrutieren. Erst nach dem Wahnsinn von Paris korrigiert die Bundeskanzlerin ihre Flüchtlingspolitik zumindest zum Teil.

Die kippende Stimmung in der arabischen Welt führt zu einer traurigen Wahrheit, gegen die viele Stimmen in der deutschen Medienöffentlichkeit noch anschreien: Unsere Freiheit wird bedroht. Und wenn sie verteidigt werden soll, müssen wir einen Teil dieser Freiheit opfern. Dann wird nicht nur Paris im Notstand sein, sondern bald ein ganzer Kontinent. Das abgesagte Fußballländerspiel in Hannover ist darauf nur ein bitterer Vorgeschmack.




.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen