Freitag, 20. November 2015

Geister und Genozid: Syrien, Israel, Russland und eine Menge Erdöl

Geister und Genozid: Syrien, Israel, Russland und eine Menge Erdöl

F. William Engdahl

Geopolitisch steht im Nahen und Mittleren Osten viel auf dem Spiel – und jetzt sogar noch sehr viel mehr. Man nehme ein kaum bekanntes Ölunternehmen aus Newark im US-Bundesstaat New Jersey, die umstrittenen Golanhöhen zwischen Syrien und Israel, füge ein dort gelegenes Ölfeld hinzu, das Berichten zufolge genau in dem Moment entdeckt wurde, wo Russlands Luftangriffe in Syrien auf volle Touren gebracht werden, schüttele das Ganze kräftig, und heraus kommt ein potenzieller Auslöser eines Dritten Weltkrieges.

Zu Anfang – das heißt vor über zehn Jahren, als Washingtons neokonservative Denkfabriken und die Bush-Cheney-Regierung ihre Pläne für Regimewechsel im gesamten Nahen und Mittleren Osten entwickelten – waren konkurrierende Erdgaspipelines durch Syrien in die Türkei oder über den Libanon zum Mittelmeer wichtige »unterstützende« Aspekte bei Washingtons Krieg gegen Assad. Jetzt kommt Erdöl ins Spiel, und zwar eine Menge Erdöl, auf das Israel Anspruch erhebt. Doch dieser Anspruch ist unberechtigt, denn das Erdöl lagert unter den Golanhöhen, die Israel 1967 im Sechstagekrieg Syrien rechtswidrig genommen hat.

Geist in einer stinkenden Flasche

Was haben Dick Cheney, James Woolsey, Bill Richardson, Jacob Lord Rothschild, Rupert Murdoch, Larry Summers und Michael Steinhardt gemeinsam? Sie sind alle Beiratsmitglieder eines in Newark, New Jersey, ansässigen Erdöl- und Erdgasunternehmens namens Genie Energy [Genie = Geist oder Flaschengeist]. Es ist eine ansehnliche Namensliste.

Bevor Dick Cheney 2001 zu George W. Bushs »Schattenpräsident« wurde, war er Chef des weltgrößten Erdölfeld-Dienstleisters, der Firma Halliburton, der enge Verbindungen zur CIA und zur Bush-Familie nachgesagt werden. James Woolsey, unter Bill Clinton CIA-Direktor, ist heute Vorsitzender der neokonservativen Denkfabrik Foundation for Defense of Democracies; außerdem ist er Mitglied des Likud-freundlichen Washingtoner Institute for Near East Policy (WINEP).

Darüber hinaus war er an dem berüchtigten Project for a New American Century (PNAC) beteiligt, gemeinsam mit Cheney, Don Rumsfeld und anderen Neokonservativen, die später in der Bush-Cheney-Regierung wichtige Posten bekleideten. Nach dem 11. September 2001 bezeichnete Woolsey den von Bush und Cheney proklamierten Krieg gegen den Terror als »Vierten Weltkrieg«, wobei er den Kalten Krieg als Weltkrieg Nummer drei zählte.

Bill Richardson ist ein früherer Energieminister der USA. Rupert Murdoch ist Eigentümer wichtiger amerikanischer und britischer Medien, darunter das Wall Street Journal. Er ist der wichtigste Finanzier des von PNAC-Gründer Bill Kristol herausgegebenen neokonservativen Weekly Standard.

Larry Summers war US-Finanzminister, er formulierte die Gesetze, durch die amerikanische Banken von dem 1933 erlassenen Glass Steagall Act ausgenommen wurden. Das neue Gesetz bereitete der US-Finanzkrise von 2007 ‒ 2015 den Weg. Der Hedgefonds-Spekulant Michael Steinhardt ist ein großer Freund Israels und des Finanzinvestors Marc Rich, außerdem ist er Mitglied des Vorstands von Woolseys neokonservativerFoundation for the Defense of Democracies.

Jacob James Rothschild schließlich ist ehemaliger Geschäftspartner des verurteilten russischen Erdöl-Oligarchen Michail Chodorkowski. Vor seiner Verhaftung hatte Chodorkowski seine Anteile an Yukos Oilklammheimlich an Rothschild übertragen. Rothschild ist Miteigentümer von Genie Energy, dem 2013 von der Netanjahu-Regierung exklusiv die Rechte für die Öl- und Gas-Erkundung in einem rund 400 Quadratkilometer großen Gebiet im Süden der Golanhöhen gewährt wurden. Kurz gesagt: Es handelt sich um einen Vorstand, bei dem einem die Augen übergehen können.

Die Golanhöhen und internationales Recht

2013, auf dem Höhepunkt der US-geführten Destabilisierung der Assad-Regierung in Syrien, gewährte die israelische Regierung der Firma Genie Energy die Konzession auf den Golanhöhen. Es traf sich gut, dass Israel damals gerade mit dem Bau von Schutzwällen begann, um die besetzten Golanhöhen von Syrien abzuriegeln, wohl wissend, dass Assad oder Syrien kaum etwas dagegen unternehmen konnten. 2013, als Genie Energy auf die Golanhöhen kam, ersetzten israelische Militäringenieure den rund 70 Kilometer langen Grenzzaun mit Syrien durch eine Stahl-Barrikade mit Stacheldraht, Berührungsmeldern, Bewegungsmeldern, Infrarotkameras und Bodenradar – mehr oder weniger genauso ausgestattet wie die Mauer, die Israel im Westjordanland errichtet hat. Jetzt, wo Damaskus ums Überleben kämpft, hat Genie Energy offenbar genau dort ein riesiges Ölfeld entdeckt.

Die Golanhöhen sind jedoch rechtswidrig von Israel besetzt. 1981 verabschiedete Israel das Gesetz für die Golanhöhen, durch das dort israelische »Gesetze, Rechtsprechung und Verwaltung« galten. Als Reaktion darauf verabschiedete die UN-Generalversammlung die Resolution 242, wonach sich Israel aus allen 1967 im Krieg gegen Syrien besetzten Gebieten, einschließlich der Golanhöhen, zurückziehen musste.iv

Erneut verabschiedete die UN-Generalversammlung bei einer Plenarsitzung im Jahr 2008 eine Resolution 161-1 zugunsten der Golanhöhen, die die Resolution 497 des UN-Sicherheitsrats bestätigte. Die Resolution 497 war 1981 nach der de-facto Annektierung durch Israel verabschiedet worden; das Gesetz für die Golanhöhen wurde für »null und nichtig und ohne internationalerechtliche Wirkung« erklärt. Israel wurde aufgefordert, alles zu unterlassen, was»den physischen Charakter, die demografische Zusammensetzung, die institutionelle Struktur und den rechtlichen Status des besetzten syrischen Golan« verändere.

Insbesondere sollten keine Siedlungen errichtet werden und … »keine israelische Staatsbürgerschaft und israelische Personalausweise für die syrischen Bürger im besetzten syrischen Golan zur Pflicht gemacht werden«; auch »repressive Maßnahmen gegen die Bevölkerung im syrischen Golan« sollten unterbleiben. Israel votierte als einziges Land gegen diese Resolution. Noch im Juni 2007 schickte Israels Ministerpräsident Ehud Olmert ein geheimes Kommuniqué an Syriens Präsident Bashar al-Assad, wonach Israel auf die Golanhöhen verzichten würde, wenn ein umfassender Friedensvertrag geschlossen würde und Syrien die Verbindungen zum Iran und zu militanten Gruppen in der Region kappte.

Genie Energy behauptet, ein riesiges Ölfeld entdeckt zu haben

Am 8. Oktober, in der zweiten Woche der russischen Luftangriffe auf ISIS und andere sogenannte »gemäßigte« Terroristen, die auf Bitte der Assad-Regierung erfolgten, erklärte Yuval Bartov, Chefgeologe bei Genie Energys israelischer Tochterfirma Afek Oil & Gas, im zweiten Kanal des israelischen Fernsehens, sein Unternehmen habe auf den Golanhöhen eine große Erdöl-Lagerstätte entdeckt»Wir haben in den südlichen Golanhöhen eine 350 Meter dicke Ölschicht gefunden. Weltweit sind die Schichten durchschnittlich 20 bis 30 Meter dick; dieses ist zehnmal so groß, wir sprechen also über bedeutende Mengen.«

Durch den Ölfund sind die Golanhöhen zu einem strategischen »Preis« geworden, der die Netanjahu-Regierung entschlossener denn je macht, in Damaskus Chaos zu säen und das zum Vorwand zu nehmen, den Golan mit dem dort lagernden Erdöl unwiderruflich zu besetzen. Neftali Bennett, in Netanjahus Koalitionsregierung Minister für Erziehung und Angelegenheiten der Diaspora sowie Vorsitzender der rechtsgerichteten religiösen ParteiThe Jewish Home, schlägt vor, Israel solle innerhalb von fünf Jahren 100 000 neue Siedler auf dem gesamten Golan ansiedeln. Angesichts der «Desintegration« Syriens nach Jahren des Bürgerkrieges sei ein stabiler Staat schwer vorstellbar, an den die Golanhöhen zurückgegeben werden könnten. Zudem mehren sich in Tel Aviv die Stimmen,Netanjahu solle von Amerika die Anerkennung der Annektierung der Golanhöhen von 1981 als »angemessene Beruhigung für israelische Sicherheitsbedenken angesichts der Einigung im Atomstreit mit dem Iran« verlangen.

Energiekrieg war signifikanter Bestandteil der US-amerikanischen, israelischen, katarischen, türkischen und bis vor Kurzem auch saudi-arabischen Strategie gegen die Assad-Regierung in Syrien. Vor dem jüngsten Erdölfund auf den Golanhöhen drehte sich das Vorgehen gegen Assad um die riesigen Erdgasvorkommen in Katar und im Iran auf den gegenüberliegenden Seiten des Persischen Golfs und die dort befindlichen größten entdeckten Erdgasfelder der Welt.

2009 trafen sich Vertreter der Regierung von Katar, heute Sitz der Moslem-Bruderschaft und wichtiger finanzieller Unterstützer von ISIS in Syrien und Irak, in Damaskus mit Bashar al-Assad.

Katar schlug vor, Syrien solle eine Vereinbarung eingehen, der zufolge eine Transitpipeline von Katars riesigem North Field am Persischen Golf, direkt neben dem iranischen South-Pars-Feld, zugelassen würde. Die katarische Pipeline wäre durch Saudi-Arabien, Jordanien, Syrien und weiterin die Türkei verlaufen; von dort wären europäische Märkte versorgt worden. Entscheidend war dabei, dass Russland umgangen worden wäre. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Agence France Presse war Assads Argument, »die Interessen seines russischen Verbündeten zu schützen, der Europas wichtigster Erdgas-Lieferant ist«.

2010 trat Assad stattdessen in Gespräche mit Iran und Irak über eine alternative zehn Milliarden Dollar teure Pipeline ein, über die der Iran Erdgas vom South-Pars-Feld im iranischen Abschnitt des Persischen Golfs nach Europa liefern könnte. Im Juli 2012 unterzeichneten die drei Länder eine Absichtserklärung – genau in dem Moment, wo sich der Bürgerkrieg in Syrien auf Damaskus und Aleppo ausweitete.

Jetzt verleiht ein Ölfund riesigen Ausmaßes durch ein Ölunternehmen aus New Jersey – zu dessen Vorstand der Architekt des Irakkriegs Dick Cheney zählt, genauso wie der neokonservative Ex-CIA-Chef James Woolsey und Jacob Lord Rothschild, Geschäftspartner eines von Wladimir Putins erbittertsten Feinden, nämlich Michail Chodorkowski – der Bedeutung von Russlands Eingreifen auf der Seite Assads gegen ISIS, al-Qaida und andere US-unterstützte »gemäßigte« Terroristen eine neue geopolitische Dimension. Der US-Putsch in der Ukraine 2014, die Finanzierung und Ausbildung von ISIS und anderen »gemäßigten« Terrorgruppen in Syrien haben ein Hauptziel: Russland und dessen Netz von Verbündeten – ein Netz, das durch die Politik Washingtons und Israels ironischerweise stündlich größer wird.






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