Donnerstag, 19. November 2015

Anschläge und Bombendrohungen – cui bono? oder der Aufruf zum Krieg

Anschläge und Bombendrohungen – cui bono? oder der Aufruf zum Krieg

Peter Orzechowski

Die Anschläge von Paris und die Bombendrohungen von Hannover versetzen die Bürger Europas in Angst und Schrecken. Unser bisheriges unbekümmertes Leben ist zu Ende. Aber der Terror hat auch einen Nutznießer: Er macht den Weg frei zu einem umfassenden Krieg im Mittleren Osten.

Kriegsrhetorik überall: Die Terrormiliz Islamischer Staat hat laut Jordaniens König Abdullah II. den Dritten Weltkrieg gegen die gesamte Menschheit entfacht. Der Monarch forderte die internationale Völkergemeinschaft auf, sich im Kampf gegen diese Bedrohung unverzüglich zusammenzuschließen, meldet AFP.

Abdullah II. bezeichnete die IS-Miliz als »wilde Banditen«, denen jede Menschlichkeit fehlt. Wie er betonte, stellt die Konfrontation gegen den IS einen »Krieg innerhalb des Islams« dar. Dies sei ein Kampf gegen jene, die die Moslems in Fanatiker verwandeln möchten, erklärte er. »Wir müssen schnell und entschlossen handeln, um interkontinentale Bedrohungen abzuwenden, sei das im Nahen Osten, in Afrika, in Asien oder Europa«, betonte Abdullah II.

Unmittelbar nach den Terroranschlägen hat Frankreichs Präsident François Hollande dem IS »Krieg bis zum Ende« versprochen. Sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy schwadroniert gar vom »totalen Krieg«.

In Medien hierzulande ist schon vom Weltkrieg die Rede: Axel-Springer-CEO Mathias Döpfner macht sich in der Welt am Sonntag für die »Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte« stark und mobilisiert zum globalen »Kulturkampf«. Einer seiner wichtigsten Angestellten, Julian Reichelt, Chef von Bild Online, sammelt die Truppen für »mehr militärische Einsätze«. Die Deutschen schwört er ein auf »mehr Opferbereitschaft«: »Auf Facebook und mit Lippenbekenntnissen werden wir diesen ›Krieg‹, wie unser Bundespräsident es richtig nennt, nicht gewinnen.«

Auch FAZ-Herausgeber Berthold Kohler mahnt die immer noch nicht kriegsbereiten Deutschen:»Ohne Opfer wird dieser epochale Kampf nicht zu bestehen sein.« Der Krieg gegen die IS-Terroristen werde »nicht gänzlich ohne Einschränkungen der Freiheiten möglich sein, die es zu verteidigen gilt, gegebenenfalls auch mit eigenen Truppen in Syrien«. Zeit für Kanzlerin Angela Merkel, endlich ihr »hartes Gesicht« aufzusetzen.

NATO-Bodentruppen in Syrien

Die Anschläge von Paris wurden – das sieht man an diesen wenigen Zitaten – instrumentalisiert, um Europa in den Krieg in und um Syrien zu verwickeln. Um die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass nun Bodentruppen zum Einsatz kommen müssen.

Eine besondere Rolle dürfte hierbei die Türkei spielen. Sie kämpft seit Monaten auf den Territorien des Irak und von Syrien gegen die PKK. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte nach den Pariser Anschlägen, nun müsse das Reden ein Ende haben. Er forderte massive Militärschläge. Die Logik »mein Terrorist ist gut, deiner ist schlecht« dürfe nicht mehr gelten: »Terrorismus hat keine Religion, keine Nation, keine Rasse, kein Vaterland.« Mit genau denselben Worten hatte Erdoğan vor einigen Wochen in Brüssel der EU vorgeworfen, ihn nicht ausreichend im Kampf gegen die PKK unterstützt zu haben.

Der Vormarsch der Russen in Syrien bringt Erdoğan in Bedrängnis: Er braucht dringend eine Entlastung, um seine Interessen in Syrien durchzusetzen. Der Pariser Anschlag könnte ihm die Legitimation verschaffen, als NATO-Land, das treu an der Seite Frankreichs steht, mit Bodentruppen in Syrien einzumarschieren. Erdoğan kann jedenfalls schneller mobilisieren als die USA, die noch gewisse demokratische Prozeduren haben, um Truppen zu entsenden. Bis die durchlaufen sind, könnte es wegen der Erfolge der Russen zu spät sein.

Die durch den Pariser Terror ausgelöste Angst in der EU vor der »Bedrohung« durch die Flüchtlinge könnte dazu führen, einem militärischen Einsatz zuzustimmen und vor allem Erdoğan als Speerspitze zu autorisieren.

Der eigentliche Kriegsgewinnler

Je größer der Krieg gegen den IS, desto größer sind auch die Profite der Waffenindustrie. Schon am 18. Oktober 2014 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): »Der Feldzug gegen den Islamischen Staat beschert Amerikas Rüstungsschmieden volle Auftragsbücher und satte Gewinne. Die Zeiten sinkender Rüstungsbudgets sind vorbei.«

Die FAZ schreibt unter Berufung auf die Nachrichtenagentur AFP: Die Luftangriffe der Vereinigten Staaten gegen den IS im Irak und in Syrien erweisen sich als Goldgrube für die Rüstungsindustrie. Der Einsatz Operation Inherent Resolve (etwa: »Operation natürliche Entschlossenheit«) beschert amerikanischen Rüstungsfirmen steigende Aktienkurse und potenzielle Milliardeneinnahmen.

Gefragt seien Bomben, Raketen, Ersatzteile für Kampfflugzeuge. Auch die Entwicklung neuer Rüstungsprojekte dürfte einen Schub erhalten. »Aus der Sicht der Verteidigungsindustrie ist es der perfekte Krieg«, zitiert die FAZ Branchenkenner Richard Aboulafia vom Marktforscher Teal Group.

Allein von Juli bis September 2014 habe der Aktienkurs des Rüstungs- und TechnologieriesenLockheed Martin um rund zehn Prozent zugelegt. Der Konzern stellt unter anderem die Hellfire-Raketen her, die von amerikanischen Drohnen abgefeuert werden.

Auch die Börsenwerte der Rüstungsfirmen Northrop Grumman und Raytheon stiegen seit Beginn des Militäreinsatzes. Raytheon sicherte sich Ende September 2014 einen 251 Millionen Dollar (196Millionen Euro) schweren Pentagon-Auftrag, der Marine weitere Tomahawk-Lenkraketen zu liefern. Am 23. September 2014, dem ersten Tag der angeblichen Luftangriffe auf Stellungen des IS in Syrien, feuerten Kriegsschiffe 47 Tomahawks ab. Kostenpunkt: 1,4 Millionen Dollar pro Rakete.

Die Rüstungsfirmen hoffen nicht nur auf Geschäfte mit der amerikanischen Armee, sondern auch mit anderen Ländern der internationalen Koalition gegen die Dschihadisten. An den Luftangriffen in Syrien beteiligen sich ja nicht nur Russland, die USA und Frankreich, sondern auch wichtige Waffenimporteure wie Bahrain, Jordanien, Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Noch 2013 stellte sich die Rüstungsindustrie in den Vereinigten Staaten auf magere Zeiten ein. Präsident Barack Obama hatte die Truppen aus dem Irak abgezogen, der Einsatz in Afghanistan neigte sich ebenfalls dem Ende zu. Angesichts des Schuldenberges sollten die Verteidigungsausgaben in den kommenden Jahren zurückgefahren werden. Wegen des Haushaltsstreits zwischen Demokraten und Republikanern ließen automatische Kürzungen das Pentagon-Budget bereits schrumpfen. Die Rüstungsindustrie verkündete erste Entlassungen.

Der Vormarsch der Dschihadisten im Irak und in Syrien, aber auch der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland, haben in Washington zu einer Neubewertung der Sicherheitslage geführt. »Der politische Konsens scheint sich in Richtung höhere Verteidigungsausgaben zu bewegen, als Antwort auf das gefährliche Umfeld da draußen«, sagt Aboulafia.

2015 betrug das amerikanische Verteidigungsbudget rund 612 Milliarden Dollar. Die Vereinigten Staaten sind damit weiter auf Platz eins in der Rangliste der nationalen Verteidigungsbudgets – und gaben alleine mehr Geld für Verteidigung aus als alle acht nachfolgenden Staaten zusammen.

Das Pentagon hat nun gute Argumente, sein Stück am Haushaltskuchen in den kommenden Jahren wieder zu vergrößern. Widerstand aus dem Kongress dürfte nur wenig kommen. »Es ist unglaublich schwer, nein zu sagen, wenn man im Krieg ist«, sagt Loren Thompson von der Politikberatung Lexington Institute.




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